In der Humanernährung gilt vegan als Trend. Das hat für so manches Haustier kulinarische Konsequenzen. Auch für Schäferhündin Qaira – seit über 10 Jahren.
“15 Jahre? Dieses Alter hätte ich ihr nicht gegeben”, staunt Tierarzt Roland Maurer und begrüsst Qaira, indem er seine Hand beschnuppern lässt. Schäferhunde seien bereits mit 8 Jahren Senioren, manche mit 10 bereits im Himmel. Doch nicht nur das Alter macht Qaira besonders: sie isst seit 11 Jahren vegan.
Qaira lebt bei Martina Späni. Für sie ist es ein Widerspruch, Haustiere als Freunde und Wegbegleiter wahrzunehmen und Kälber als Futtermittelzusätze zu taxieren. “Qaira mit anonymen Fleischlieferanten aus der Massentierhaltung zu ernähren, das geht für mich nicht zusammen”, so Späni. Nachdem sie sich kritisch mit der Futtermittelindustrie auseinandergesetzt habe, kam sie auf den Geschmack von veganem Hundefutter.
Qaira auch. Bei der Umstellung auf vegan gab es keine Probleme. “Qaira war immer eine gute Esserin”, erzählt Späni. Sie kocht die Hälfte der Mahlzeiten selbst. Für Späni ist das ein geringer Mehraufwand: “Ein bis zwei Mal pro Woche wird in unserem Haushalt nicht nur für Menschen, sondern auch für Qaira gekocht; gleichzeitig, aber nicht das Gleiche”. Trockenfutter oder vegane Kaugegenstände bezieht sie online vom Fachhandel.
Jemandem etwas vorschreiben
Roland Maurer leitet in Wabern bei Bern die Kleintierpraxis Katuna. Anfangs 2015 hat er mit seiner Assistentin Daniela Greiner Vorträge zu veganer Haustiernahrung gehalten. Über Qairas Besuch freut er sich besonders: “Wenn Leute mit veganen Haustieren zu uns kommen, sind wir voll in unserem Element”.
Nicht alle begrüssen die Zunahme von vegan ernährten Hunden. Zu den KritikerInnen gehört Annette Liesegang, Direktorin des Institut für Tierernährung an der Uni Zürich. Für sie ist klar, dass der Trend aus der Humanernährung kommt. “Hier werden dem Tier Lebensweisen aufgezwungen”, schreibt Liesegang in der Wiener Tierärztliche Monatsschrift. Dennoch räumt auch Liesegang ein, dass Hunde vegan ernährt werden können. Doch es brauche Nahrungsmittelzusätze: “Ein 100%ig veganes Alleinfutter kann es nicht geben, da immer synthetische Zusatzstoffe ergänzt werden müssen.”
Maurer findet die kulinarische Bevormundung bei einem Haustier legitim, wenn es etwas freiwillig isst und verträgt. In Sachen Chemie ist er pragmatisch: “Mit synthetischen Zusätzen kann ich besser leben, als wenn die Massentierhaltung dahintersteckt”, sagt der Tierarzt.
Kaum Erfahrungswerte
Doch es mangelt an Daten. Die Forschung tastet sich erst an die vegane Haustierfütterung heran. Gerade was die Langzeitfolgen anbelangt, existieren bestenfalls Erfahrungswerte von Individuen wie Qaira. Das betont auch Tierarzt Maurer: “Ein einzelner Hund ergibt noch keine Studie”.
20 Hunde jedoch schon. Im Dezember 2014 erforschte Pia-Gloria Semp an der veterinärmedizinischen Universität Wien die vegane Ernährung von Hunden (und Katzen). In ihrer Studie unterzog sie ihre ProbandInnen einer klinischen Untersuchung und einer Blutabnahme. Zuvor wurden sämtliche Tiere mindestens 6 Monate rein pflanzlich ernährt. Das Resultat: keine Veränderungen, die mit der Ernährung in Verbindung gebracht werden können. Doch es brauche weitere Forschungsresultate.
Teilweise entkräftet ist auch der Mythos des fleischessenden Hundes. Einige Gene von Wolf und Hund weisen markante Unterschiede auf. Das zeigt eine Studie von einer schwedischen Forschungsgruppe um Erik Axelsson von 2013. Im Gegensatz zu Wölfen können Hunde pflanzliche Stärke wesentlich besser verdauen. Axelsson erklärt das mit der Evolution. Als Menschen sesshaft wurden und Hunde domestiziert hatten, ernährten sich diese zunehmends von stärkehaltigen Essensresten.
“Sonst viel schlechtere Blutwerte”
Tierarzt Maurer verkauft in der Praxis neuerdings auch (bio-)veganes Hundefutter. “Ich will das niemandem aufzwingen”, meint Maurer. Als Tierarzt wolle er primär die Angst nehmen. “Ich gebe allen, die vegane Hundeernährung ausprobieren möchten, den medizinischen Rückhalt”, sagt Maurer. Paradoxerweise habe in unserer Überflussgesellschaft die Angst von einem Mangel eine enorme Bedeutung bekommen.
Qairas Kalium im Blut ist etwas niedrig. “Mischen Sie ihr ab und zu eine Banane ins Futter”, rät er. Ansonsten sei das Blutbild perfekt. “Medizinisch gibt es nichts zu bemängeln, und für ihr Alter geht es der Schäferhündin bemerkenswert”, resümiert Maurer. “Ich habe sonst mit viel schlechteren Blutwerten zu tun.”
Qaira? Etwas abseits zwischen zwei Nagerkisten sucht sie schnuppernd nach etwas Essbarem. Ihre Nase täuscht sie nicht: da warten zwei vergessene Cracker – aus Biofleisch. Rasch sind sie vernascht. Doch das kulinarische Vergnügen währt nicht lange: Qaira keucht, würgt und erbricht. “Eine richtige Veganerin”, konstatiert Maurer und lächelt.
Tobias Sennhauser
Dieser Artikel erschien erstmals auf tier-im-fokus.ch.